Ein Orchester ist wie ein Unternehmen
Was Musikorchester und Unternehmen gemeinsam haben: Ein Gespräch mit Angelika Wimmer
Angelika Wimmer ist Violinistin in einem Symphonie-Orchester. Durch ihre jahrelange Erfahrung mit vielen unterschiedlichen Dirigenten und Dirigentinnen weiß sie um die Wichtigkeit von gutem Leadership.
Aus diesem Grund hat sie über ihre Arbeit im Orchester hinausgehend, Conductor´s Company gegründet. Hier dürfen Führungskräfte selbst dirigieren – entweder ein Streichquartett oder ein Orchester aus professionellen Musikern. Auf diese Weise erfahren sie direktes Feedback über ihr Wirken und ihr Auftreten. Sie erkennen die Wichtigkeit von Authentizität und Emotion in der Führungsebene und lernen, warum und wie Unternehmen und Orchester auf die gleiche Weise funktionieren.
Die Themen, über die wir uns ausgetauscht haben:
- Die Rolle der Musiker im Orchester: Teamplayer!
- Wo die Analogie zwischen einem Orchester und einem Unternehmen liegt
- Der Einfluss von Vertrauen und einer guten Umgebung auf erfolgreiche Auftritte
- Hingabe und Leidenschaft in der Musik
- Dirigenten im Mittelpunkt: Die Bedeutung der Körpersprache
- Wie lässt sich das auf die Zusammenarbeit in Unternehmen übertragen
Bei den musiker:innen ist Führungsstärke eher nicht gefragt
Die wichtigste Fähigkeit eines Musikers in einem Orchester ist nicht das Führen; es sind eher Teamqualitäten, die sie befähigen einen guten Job zu machen. Und davon braucht es Viele.
„Als Teil des Teams braucht jeder einzelne Musiker und Musikerin ziemlich viele Teamqualitäten. Wir müssen unglaublich wach und super fokussiert sein. Wir müssen sehr viel miteinander kommunizieren – vorzugsweise nonverbal. Wir müssen mitkriegen, wie die Stimmung in genau diesem Moment ist. Wo bewegt sich die Musik gerade hin. Also Führungsqualitäten brauche ich im Orchester nicht – ich genieße eher die Führungsqualitäten des Dirigenten.“
Ganz anders verhält es sich in der Kammermusik, z.B. in einem Streichquartett – die Königsdisziplin in der Klassik. Goethe hat darüber bereits gesagt: es ist ein Gespräch, in dem sich 4 vernünftige Menschen miteinander unterhalten.
„In der Kammermusik braucht es wesentlich mehr Führungsqualifikationen – wobei die Organisationsstruktur hier allerdings eher holakratische angelegt ist. Es sind 4 Musiker, die sich auf absoluter Augenhöhe unterhalten. Bei manchen Stücken beginnt das Cello und die anderen kommentieren mit ihrer Stimme. Manchmal spielen mehrere gleichzeitig und nur einer „antwortet“ musikalisch. Es ist ein gemeinsames Entstehen – ein Dialog – der da passiert.“
Angelika Wimmer
Ein spannender Vergleich:
WAS WIR VON DER ARBEIT EINES DIRIGENTEN AUF DEN FÜHRUNGSALLTAG ABLEITEN KÖNNEN
Ein Dirigent arbeitet nicht einfach nur mit Musikern – er arbeitet mit Menschen. Genauso wie in Unternehmen mit Menschen gearbeitet wird. Es geht immer darum: Wie können wir den Menschen erreichen, damit er bereit ist sein Bestes zu geben?
„Ich bin der Meinung, das ist das Schönste was passieren kann: wenn der Dirigent reinkommt und uns Musiker so abholt, dass wir alles geben wollen um dem Publikum ein außergewöhnliches Konzert zu bieten. Ich habe mich schon oft gefragt: Was macht genau den Unterschied?
Es sind hauptsächlich psychologische Faktoren. Wie sprechen sie mit uns? Mit welcher inneren Haltung begegnen sie uns? Mit welcher Energie und Ausstrahlung stehen sie vor uns. Und es ist auch die Art von Wichtigkeit, die jedem Musikern gegeben wird. Jeder Einzelne von uns fühlt sich gesehen und ist gleich wichtig im Orchester.“
Es ist also das richtige Maß von Fordern und Fördern, dass eine Führungskraft für jedes einzelne Individuum im Team finden muss. Dafür braucht es besonders ein Gespür für die leisen Töne und die nonverbale Kommunikation, die vor oder nach Gesprächen stattfindet.
Und natürlich auch ein Bewusstsein dafür, wie die Führungskraft dem Mitarbeitenden gegenübersteht. Mit welcher Haltung begegnet sie ihren Leuten? Wann gibt sie Rückhalt und Unterstützung und wann dürfen die Mitarbeitenden ihre individuellen Stärken beitragen?
Das Zauberwort heißt: VERTRAUEN
Die Musik allein bringt die Musiker nicht zusammen. Alle haben ihre Noten – eigentlich nur schwarze Punkte auf einem weißen Zettel. Der Dirigent / die Dirigentin hat die Aufgabe das Dazwischenliegende zum Klingen zu bringen. Dabei weiß er vor der ersten Probe noch gar nicht welche Qualität an Orchester er da vor sich sitzen hat. 120 bis 150 Menschen aus 15 – 20 Nationen, junge Student:innen, alte Hasen, die unterschiedlichsten Instrumente.
Hier zeigt sich das Können eines Dirigenten: Es ist die große Kunst alle in die gleiche Richtung zu ziehen. Es ist gelebte Agilität vom ersten Moment an. Die Dirigenten beschäftigen sich mit den Stücken, sie wissen genau welche Noten da drin sind. Sie wissen den Hintergrund und entwickeln eine Vision von dem Werk, das sie in ihrem inneren Ohr hören.
Die Haltung eines besonders guten Dirigenten sollte sein: ich habe das beste Orchester vor mir das ich haben kann. Und mit dem arbeite ich jetzt. Und wenn der Dirigent / die Dirigentin dieses Gefühl schon beim Betreten des Probesaals gibt – so viel Vorschußvertrauen, so viel Gelingen schon im Vorfeld sieht – dann geben die Musiker:innen ihr Bestes, weil eine wunderbare Atmosphäre und Umgebung dafür geschaffen ist.
Der Dirigent muss das Zündholz sein
Wieder eine Analogie zur Führungskraft. Dabei geht es nicht darum mit tiefer Leidenschaft für etwas zu „verbrennen“ sondern zu gestalten. Sich manchmal bewusst rauszunehmen aus dem Geschehen und zu schauen: wo muss ich einspringen, damit die anderen das weiter gestalten können? Und wenn es im Moment gerade läuft, dann kann die Führungskraft auch zurücktreten, weil sie jetzt gerade nicht gebraucht wird. Sie ist aber immer hellwach und lässt das Gesamte nie unbeobachtet.
Den meisten Dirigenten steckt eine tiefe Leidenschaft im Blut. Aber es ist eine Leidenschaft mit Kontrolle – nicht eine ungebändigte Leidenschaft, die das Orchester irritieren und im Fluss stören würde. Er muss sich bewusst machen, wann sein Einsatz gefragt ist und wann er sich rausnimmt. Er schaut zu und genießt das was ihm gegeben wird – und wenn er merkt, dass er gebraucht wird, tritt er hinein und reguliert nur gerade so viel wie nötig. Da ist sehr viel emotionale Intelligenz gefragt, sehr viel hineinhorchen, sehr viel spüren.
Die Verantwortung der Dirigenten liegt darin, alle Botschaften ins Orchester zu übertragen
Und schon wieder haben wir eine Gemeinsamkeit mit Führungskräften. Schon beim Betreten des Saales nimmt das Orchester sehr bewusst auf in welcher Stimmung sich der Dirigent befindet. Ist er nervös, hat er etwas Zurückhaltendes oder Angespanntes? Und genau dieses Gefühl überträgt sich dann auf das gesamte Orchester. Bewusst oder unbewusst – gewollt oder nicht; das spielt dabei keine Rolle. Es überträgt sich.
„Jede Kleinigkeit, jede Geste kommt bei uns an in dem Moment, in dem der Dirigent den Saal betritt. Wir kriegen das sofort mit, egal ob wir gerade noch unsere Noten ordnen oder mit etwas anderem beschäftigt sind. Ein Teil unserer Aufmerksamkeit ist bei dieser Person. Und das ist auch in Unternehmen nicht anders.
Im Orchester haben wir jedoch zusätzlich noch die Schwierigkeit, dass wir nicht irgendwo anders hingehen können, wenn es schwierig wird. Wir müssen alle gemeinsam im Raum bleiben und mit diesen Gefühlen aktiv arbeiten. Eine sehr große Verantwortung die Dirigenten in diesem ersten Moment haben.“
Angelika Wimmer
Um das Wollen geht es
Im Orchester spürt der Zuhörer zu 100 Prozent, ob jemand so musizieren will, dass er einen Beitrag dazu leisten wird, Teil des Gesamten zu sein.
Das macht einen irrsinnigen Unterschied. An diesen Punkt kommen wir nur wenn wir als Musiker:innen abgeholt werden. Wenn wir und unser Knowhow geschätzt wird, wenn für uns ein Raum geschaffen wird, in dem wir gut funktionieren können und unsere Musik interpretieren dürfen.
Das sind dann die Konzerte bei denen wir alle auf der Stuhlkante sitzen und einfach nur geben wollen. Das ist der sehr große Unterschied zu „einfach nur seinen Dienst tun und abliefern.“